Abdruck aus:
ES IST NICHTS, NUR PAPIER,
UND DOCH IST ES DIE GANZE WELT
(Peter Høeg)

Papiertheater aus der Sammlung Schenstrøm
Hg. Doris Weiler Streichsbier
Oldenburg 1998
Kataloge des Landesmuseums Oldenburg Bd. 10
ISBN -3- 930537 - 07 - 9
 

© Landesmuseum Oldenburg
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Bernd Poch

 
"Das Volk tobte vor Vergnügen"-
Pat und Patachon- das dänische Komikerduo

 
"Was soll ein Rezensent nur machen, der angesichts der Herren Pat und Patachon nun einmal nicht aus dem Häuschen geraten kann, wenn ein ganz junger Mann zu seiner Linken brüllt, daß die Kristallüster zittern, und ein älterer Gentleman zu seiner Rechten so herzlich lacht, daß das Pincenez auf seiner Nase zu tanzen beginnt ? So ein Film muß wohl lustig sein - und die Geschmäcker verschieden."1

 
Dieses Zitat macht anschaulich, welches Verhältnis die Filmforschung zu den auch als Spaßpäpste bezeichneten Komikern Carl Schenstrøm und Harald Madsen hat. Jede/r kann es selbst nachprüfen: Ungeachtet des riesigen Publikumszuspruches werden sie ignoriert. In allgemeinen und auch in speziellen Lexika schlägt man erfolglos nach, und auch Veröffentlichungen sucht man vergebens. Selbst in einem Band wie "Klassiker der Filmkomik" von Georg Seeßlen wird dem Phänomen Pat und Patachon keine einzige Zeile gewidmet.

 
Die Filmgeschichtsschreibung im Land ihrer größten Erfolge ignoriert das Komikerduo, bis auf eine Ausnahme. Hauke Lange-Fuchs gab 1980 eine Dokumentation heraus, die u.a. zahlreiche Quellen vor allem aus Dänemark und Schweden ins Deutsche übersetzt präsentiert. Ergänzt werden diese Quellen durch Abdruck von Kritiken der internationalen Presse. Dieses bisher einmalige Werk muß hier in Ermangelung anderer Publikationen als Hauptquelle dienen.

 
Anfänge der Filmkomik

 
Die Wurzeln der Filmkomik reichen weit bis in die früheste Zeit der Filmprojektion zurück.
Als am 28. Dezember 1895 die Gebrüder Lumière im Pariser Grand Café die ersten Filmstreifen in der Öffentlichkeit projizierten, war die Verwunderung groß. Ungläubig bestaunte man die Möglichkeit, Bewegung mit einem technischen Gerät aufzeichnen und in Lebensgröße wiedergeben zu können. "Natur auf frischer Tat ertappt"2, dieser Ausspruch des Pariser Journalisten de Parville wurde zum geflügelten Wort. Das Leben in seinen unkontrolliertesten und unbewußtesten Momenten wurde von den Kameraleuten der Lumiéres gesucht und in immer wiederkehrenden Motiven gefunden. Meereswogen, Rauchwolken und belebte Plätze wurden mit besonderer Vorliebe gefilmt; legendär ist der Filmstreifen "L´ arivee d´un train". In ihm fährt ein Zug in einen Bahnhof ein, Dampf quillt aus der Lokomotive, Passagiere steigen ein und aus und vollziehen Bewegungen, die in ihrer Zufälligkeit nicht vorhersehbar sind.
Die Brüder Auguste und Louis Lumière glaubten nicht an die Langlebigkeit des Mediums, sie sahen


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in ihm nicht mehr als eine "wissenschaftliche Kuriosität"3, die es schnell auszubeuten galt. Trotzdem gab es schon in einem der ersten Lumièr´schen Programme 1896 einen Streifen zu sehen, der aus der Reihe der Filme mit dokumentarischem Charakter ausscherte. Der Film, "L´arroseur arrosé" (der begossene Rasensprenger), wurde schnell zum Publikumsrenner und war daher Gegenstand eines der ersten Filmplakate. Er erzählte eine der Wirklichkeit entnommene Story : Ein Gärtner begießt mittels eines Schlauches den Garten, ein Junge schleicht sich heran und tritt mit dem Fuß auf den Schlauch. Verdutzt schaut der Gärtner in den nur noch tröpfelnden Schlauch, genau in dem Augenblick gibt der Junge den Schlauch wieder frei. Der Gärtner wird naßgespritzt (Maxim Gorki: "Der Zuschauer glaubt, daß auch er im nächsten Augenblick vollgespritzt werde, und fährt unwillkürlich zurück"4), erkennt die Lage, verfolgt und erwischt den Jungen. Eine Tracht Prügel ist die wohlverdiente Strafe für den Lausbuben.

 
Abb 71
Plakat für Lumiére- Vorführungen, 1896.
Das Plakat griff die Vorliebe des Publikums
für das "Urbild aller späteren Filmlustspiele" auf.

 

 

 

 
Dieses kurze Filmchen gilt als "Keimzelle und Urbild aller späteren Filmlustspiele"5. Es erzählt einen Streich und dessen Ende, das das Weltbild der Zuschauer wieder zurechtzurücken versteht. Mehr noch: hier konnte man die erste Verfolgungsjagd im Film miterleben, die filmischste aller Aktionsformen.
 
Der Besitzer eines Zaubertheaters namens Georges Méliès saß während der ersten Vorführungen im Zuschauerraum und erkannte sofort, daß die Möglichkeiten des Films weit über das Gesehene hinausreichen mußten. Als 1897 der Film seinen Novitätscharakter zu verlieren begann und auch im letzten Provinzort Filme Lumièr´scher Prägung schon gesehen worden waren, drehte Méliès in großer Zahl Theaterszenen und fantastische Filme, die offensichtlich Publikumsbedürfnissen entgegenkamen, die die Lumieres nicht befriedigen konnten und wollten. Méliès produzierte seine Filme im Stile eines Theaterregisseurs mit einer feststehenden Kamera, die meistens die gesamte Bühne aufnahm, entwickelte aber auch filmspezifische Mittel wie den Stoptrick, das Arbeiten mit Masken etc., die er in zahlreichen Variationen virtuos anwendete.
 
Seine Vorliebe für das Phantastische fand seinen Niederschlag in Jules-Verne-Adaptionen und in Science-fiction-Filmen. Im Gegensatz zur literarischen Vorlage war das Phantastische in Méliès Filmen oftmals


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mit Heiterkeit gepaart. Der Mond hat das Gesicht eines Mannes, der von der Rakete der landenden Wissenschaftler ins Auge getroffen wird. Wild umherhüpfende Mondbewohner verlöschen qualmend, wird ihnen ein harter Schlag versetzt. Nixen sitzen auf sichelförmigen Sternen und spielen auf der Leier. "Die Fülle der Beziehungen reizt zum Lachen, behält aber gleichzeitig eine surrealistische Komponente bei, die, wie alles Groteske, irritiert"6 .Die Realität, wie Lumiere sie noch konsequent darstellen wollte, wird im Groteskfilm verformt, die Komik ergibt sich aus der Differenz, die wiederum nicht zu groß sein darf, um den Bezugspunkt nicht zu verlieren. Normen werden spielerisch aufgehoben, aber nicht außer Kraft gesetzt. Die Gegennorm wird dem Gelächter preisgegeben, deshalb wird zu Recht wird auf die sytemstabilisierende Funktion der Filmfarcen hingewiesen.
 
Für die Entwicklung nicht nur des komischen Filmes bedeutungsvoll war die Übernahme des Prinzips der feststehenden Typisierung einer Figur, wie man es vom Theater her kannte. Ein unveränderter Typus, der sich herausgebildet hat, wirkt allein durch sein Erscheinen auf der Leinwand komisch. Er trägt- wie bei einem Markenartikel- Bedeutung mit sich, die dem Zuschauer den Zugang zur Handlung erleichtert. Der Typ muß durch die Prädisposition der Zuschauer Erwartungen erfüllen; kein Film steht für sich, er wird eingeordnet in das bisherige Bedeutungsgeflecht. So konnten sich Typen bilden, später auch Stars genannt, wie der Franzose Max Linder, der schon 1905 die damals kaum vorstellbare Jahresgage von 150 000 Franken erhielt. Harold Lloyd, Fatty Arbuckle, Mack Sennett, Buster Keaton, Charlie Chaplin und viele andere folgten- und (fast vergessen) Pat und Patachon...

Abb 72
Das Vagabundenpaar Pat und Patachon in typischer Haltung.
Öl auf Leinwand, 224 x 132 cm, 1924 (Kat.- Nr. 88)
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 


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Pat und Patachon: Die europäischen Komiker
 
Pat und Patachon - jeder, der ein gewisses Alter erreicht hat, kennt diese Namen, obwohl seit der letzten Berührungsmöglichkeit mit ihnen fast 30 Jahre vergangen sind, seit nämlich das ZDF von 1968- 1970 im Vorabendprogramm Filmchen von konsumfreundlicher Länge (27 Minuten) zeigte. Der Mythos Pat und Patachon aber lebt offensichtlich weiter.
Obwohl das Komikerpaar Pat und Patachon weltberühmt wurde, kennt kaum jemand außerhalb Dänemarks die wirklichen Namen der darstellenden Schauspieler. Das Schicksal von Carl Schenstrøm (der lange Pat) und Harald Madsen (der kleine Patachon) war es - ähnlich wie bei Seriendarstellern in der Gegenwart -, ihre Identität zugunsten der von ihnen dargestellten Figuren zu verlieren. In Deutschland hießen sie PAT UND PATACHON, in Dänemark FYRTAARNET OG BIVOGNEN (Leuchtturm und Beiwagen), in Norwegen TELEGRAFSTOLPEN OG TILHENGERN (Telegrafenmast und Anhänger), In Holland WATT EN HALFWATT (Watt und Halbwatt) und in England LONG AND SHORT.
 
In den in der Oldenburger Tageszeitung "Nachrichten für Stadt und Land" abgedruckten Annoncen wurden nur ein einziges Mal die Schauspieler genannt, und das bezeichnenderweise in einem sehr frühen Stadium. In der Anzeige zum zweiten in Oldenburg gelaufenen Pat- und Patachonfilm Pat und Patachon als Photographen wurde allerdings aus Harald Madsen "Harald Mausen"7. Danach waren sie nur noch "die zwei Unzertrennlichen" oder "unsere beiden Freunde". Erst 1929, Pat und Patachon waren längst legendär und auf der Höhe der Popularität, versuchten die "Nachrichten für Stadt und Land" den Kunstfiguren Leben einzuhauchen, wenn auch fehlerhaft: "Scherström und Madsen, das sind die Vaternamen der beiden..."8 Dies war immer noch zutreffender als das, was die "Wiener Mittagszeitung" noch am 6.8.1932 abdruckte: "Der lange Harald Madsen, der kleine dicke Carl Svendström (...)"9 .Wer also waren die Personen, die hinter dem Erfolgsduo Pat und Patachon standen ?
Es sind in der Hauptsache:
 
Lau Lauritzen (Regisseur)
Carl Schenstrøm (Pat)
Harald Madsen (Patachon)
 
LAU LAURITZEN ( Regisseur, 1878-1938)
 
Als Schöpfer und treibende Kraft muß der Regisseur Lauritz Lauritzen (genannt Lau) gelten. Obwohl ihn sein Vater als Nachfolger im Kaufmannsberuf wünschte und Lauritzen auch eine Lehre als Kaufmann hinter sich brachte, setzte sich schließlich sein Drang zur Bühne durch. Zuerst spielte er in Laiengruppen, dann mit großem Erfolg in Theatern in der dänischen Provinz, schließlich erhielt er 1910 im Alter von 32 Jahren ein Engagement als Regisseur am Det Ny Teater in Kopenhagen. In der Hauptstadt kam er dann sehr schnell zum aufstrebenden dänischen Film. Lauritzen spielte in vielen Nebenrollen, schrieb Drehbücher und führte auch bald Regie. 1914 bekam er eine feste Anstellung bei der NORDISK FILM COMPAGNI, die ganz Europa mit


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ihren Filmen belieferte. Es herrschte Goldgräberstimmung, "die Leute vom Film schwammen förmlich in Geld"10. Lauritzen bewies Talent auf komischem Terrain, er hatte schnell großen Erfolg mit Farcen, Lustspielen und Volkskomödien und lieferte Filme in großer Zahl ab. Er arbeitete unter Hochdruck, der Markt verlangte nach immer mehr Filmen, und die NORDISK kam mit der Produktion kaum nach. Lauritzen schrieb die Drehbücher, inszenierte die Filme, führte die Mitarbeiter und schnitt die Filme nach den Dreharbeiten in seinem Privathaus. Als sein Engagement bei der NORDISK 1919 endete, hatte er in einem Zeitraum von 5 Jahren 204 Filme gedreht, eine riesige Zahl, selbst wenn man bedenkt, daß es sich in der Mehrzahl um Filme von 20 Minuten Länge gehandelt hat. Ein Beleg für Lauritzen Erfolg ist auch, daß einzig sein Lustspiel-Team in der Filmkrise während des Ersten Weltkrieges die Anstellung bei der NORDISK behielt, während alle anderen Bediensteten entlassen.wurden.
 
Neben seinem ungeheuren Schaffensdrang war es vor allem seine Spontaneität, die ihn auszeichnete und die sicherlich den Mitarbeitern an jedem Drehtag aufs Neue ein äußerstes Maß an Flexibilität abverlangte. Das "Drehbuch" hatte er im Kopf, die besten Einfälle kamen im spontan am Drehort oder des Nachts im Bett. "Man darf ruhig behaupten, daß, wenn einer seiner Filme fertig ist, nicht mehr als ein Viertel des ursprünglichen Entwurfs übriggeblieben sind."11 Diese von Intuition geleitete Arbeitsweise hat sich in all den Jahren nicht verändert und wurde in der Zusammenarbeit mit Carl Schenstrøm und Harald Madsen prägend für den als leicht empfundenen Stil der Pat- und Patachon- Filme. In Film, Flirt und Verlobung z.B. wurde ein zufällig am Drehort notlandendes Flugzeug sofort in die Handlung eingebaut. Pat und Patachon als Müller konnte entstehen, weil Lauritzen gehört hatte, daß eine Windmühle zum Abriß stand. So konnte "Lau" eine brennende Mühle eindrucksvoll in Szene setzen, was er in der Planung nicht zu hoffen gewagt hatte.
 
Lauritz Lauritzen hatte die Aufmerksamkeit von Svend Nielsen, Produzent bei der Filmproduktionsfirma PALLADIUM, erregt. Der begehrte Regisseur konnte schließlich 1919 mit dem Posten des künstlerischen Leiters zur Palladium gelockt werden. Nielsen sollte einen goldenen Griff getan haben, denn Lauritzen war gerade dabei, der Idee von einem Komikerpaares, bestehend aus einem kleinen Dicken und einem langen Dürren, Gestalt zu verleihen. Als schließlich die Idealbesetzung mit Schenstrøm und Madsen gefunden werden konnte, war der Erfolg auch auf internationaler Ebene überwältigend. In der Glanzperiode kamen 97 % der Einnahmen aus den Pat- und Patachonfilmen aus dem Ausland12. Lauritz Lauritzen hat sich mit diesen Filmen einen hervorragenden Platz in der europäischen Filmgeschichte geschaffen. Er starb im Alter von 60 Jahren am 2. Juli 1938.
 
CARL SCHENSTRØM  (PAT, 1881- 1942)
 
Carl Schenstrøm wurde 1881 am Stadtrand von Kopenhagen als einziges Kind einer Handwerkerfamilie geboren, sein Vater betrieb eine Klempnerei. Nach-


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dem ein Auswanderungsversuch nach Amerika gescheitert war und die Familie nach Dänemark zurückkehrte, absolvierte Carl Schenstrøm erfolgreich eine Lehre als Buchbinder und ging danach, wie es auch in Deutschland üblich war, als Wanderbursche auf die Walz. Schon während seiner Lehrzeit hatte er Berührung mit der Bühne, er spielte in einer Laienspielgruppe von Gesellen und Lehrlingen mit. Es wird vermutet, daß sein Großvater, ein alter Artist, der in einem Schaustellerzelt "Schenstrøms Welttheater & Circus" aufführte, ihm die Liebe zu den Brettern, die die Welt bedeuten, vererbt hat. Auch als Buchbindergeselle zog es ihn zum Theater. Nach der Wanderschaft in Kopenhagen angekommen, ging er einfach zum Leiter des Norrebro Theater, Vilhelm Petersens, erhielt einen Termin und sprach vor- mit Erfolg. Er wurde engagiert, bakam aber mit vierzig Kronen Gage pro Monat nur einen Hungerlohn. So hielt Schenstrøm Ausschau nach weiteren Einnahmequellen. Er schrieb Stücke, die zwar nicht viel einbrachten, aber gern gespielt wurden.
Zwangsläufig mußte er in der Hauptstadt irgendwann einmal in Kontakt mit dem Film kommen. Er hatte gehört, daß Kollegen sich nebenbei mit kleinen Filmrollen ein paar Kronen dazuverdienen konnten, und so nahm er ein Angebot an, in dem Film Tordenskjold in verschiedenen Nebenrollen mitzuwirken. Der Film wurde kein Erfolg, auch stellte die Filmfirma kurz darauf die Produktion ein, Schenstrøm aber konnte jetzt Erfahrungen vorweisen. 1910 erhielt er einen Vertrag von der NORDISK. Er mußte seine gesamte theaterfreie Zeit zur Verfügung stehen, konnte aber dadurch sein Jahresgehalt (mittlerweile 1000 Kronen) verdoppeln.

Abb 73
Innenseite des Reisepasses von Carl Schenstrøm (1940).
Carl Schenstrøm wurde im Gegensatz zu Harald Madsen
nicht auf der ersten Blick erkannt.
(Kat. - Nr. 91)
 
 
 
 
 
 


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Seinen Durchbruch als Filmschauspieler erzielte er offensichtlich mit der Rolle eines Hungerkünstlers. Er wurde für die Rolle auserkoren, weil der eigentlich vorgesehene Kollege erkrankt war und Schenstrøm, lang und mager, ideal für die Rolle erschien. Er reüssierte und bekam danach Rollen auch als Charakterdarsteller. "Ich seelte und schurkte, weinte, lachte, verzweifelte, starb und zog alle Register für 5 Kronen täglich. Zugleich brachte ich die dazu passende Arm- und Beingymnastik, und das Resultat war, wenngleich nicht hervorragend, so doch mit den Jahren recht einträglich."13
 
Doch erst der 1913 zur NORDISK gekommene Regisseur Lauritz Lauritzen sollte Schenstrøms komisches Talent entdecken und ihn in seinen Lustspielen einsetzen. Ein Glücksfall für den Schauspieler, denn als während der Absatzkrise im Ersten Weltkrieg die NORDISK massenhaft Mitarbeiter entließ, blieben von 70 Festengagierten gerade einmal die sechs Schauspieler der komischen Abteilung in Lohn und Brot- unter ihnen Carl Schenstrøm. Und als Lauritzen dann zur PALLADIUM ging, nahm er Schenstrøm mit. Dort konnten sie die ersten Versuche, ein Komikerpaar zu schaffen, bald erfolgreich umsetzen. Schenstrøm wurde als Pat europaweit bekannt und wohlhabend. Anfang 1925 erhielt er laut Vertrag von der Palladium-Filmgesellschaft eine Jahresgage von 24 000 Kronen, für Arbeiten außerhalb Dänemarks wurden Extraprämien ausgehandelt. Jedes andere Engagement wurde Schenstrøm verboten; hätte er ohne Erlaubnis mit einer anderen Gesellschaft gedreht, wäre eine Konventionalstrafe von 100 000 Kronen fällig gewesen. Ein Drittel der Gage wurde von der Palladium in sicheren Wertpapieren angelegt. Diese sollten Schenstrøm nach Auslaufen des Kontraktes ausgehändigt werden. Sicher eine Art Rücklage für schwere Zeiten, aber auch vertraglich vereinbartes Pfand, mit der die Palladium die Einhaltung des Kontraktes erzwingen wollte. Man wollte das Zugpferd fest an die Produktionsfirma anbinden.
 
Abb. 74
Nasenkappe, Schnurrbart und wirres Haar ließen aus
dem eleganten Carl Schenstrøm den Vagabunden Pat
entstehen.
(Kat. - Nr. 90)

 

 

   

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Carl Schenstrøm verspürte keinen ausgesprochenen Hang zum glamourösen Leben. Er baute sich eine Villa im Kopenhagener Vorort Utterslev, in die er sich zu Frau und den zwei Kindern zurückziehen und seinen gerühmten Garten pflegen konnte.
Mit "Pat" hatte er die Rolle seines Lebens bekleidet. Von 1921 bis 1940 ("In guten alten Tagen") spielte er fast ausschließlich diese Rolle mit immer dem gleichen Partner- mit Harald Madsen. Auch Carl Schenstrøm starb früh, 1942, im Alter von nur 61 Jahren.
 
HARALD MADSEN (Patachon, 1890- 1949)
 
Harald Madsen wurde 1890 in einem kleinen Ort in Ostjütland namens Silkeborg geboren. Sein Vater war Schuhmacher, das einzige Kind Harald jedoch entwickelte Talente auf ganz anderem Gebiet. Schon sehr früh genoß er den Reiz, sich vor einem Publikum zu produzieren. Als Vierjähriger soll er während einer Zirkusaufführung über die Barriere geklettert sein und mit den Worten "Das kann ich auch" in das Spiel der Clowns eingegriffen haben.14 Seine Eltern erkannten seine große Liebe zu den zirzensischen Darbietungen und ermunterten ihn, mittlerweile 1897 nach Nykøbing umgezogen, das Trommelschlagen und Violinespielen zu erlernen. In der Hoffnung, daß aus Harald ein Musiker werden würde, meldeten sie ihn beim Jugendamateurorchester des Ortes an. Der Gründer war ausgerechnet Lau Lauritzen, der ebenfalls aus Silkeborg stammte. Lauritzen gab dem jungen Harald Madsen sogar höchstselbst drei Stunden Violinenunterricht, natürlich ahnten beide nicht, daß sich ihre Wege in der gar nicht so fernen Zukunft noch einmal, diesmal aber mit weitreichenden Folgen, kreuzen würden.
 
Harald Madsen trainierte weiter verbissen, um seinen Traum vom Zirkusleben Wirklichkeit werden zu lassen. Als 1904, Madsen war gerade 14 Jahre alt, der Zirkus Miehe in Nykøbing gastierte, führte er dem Direktor seine Kunststückchen vor und wurde engagiert. Am Tage nach seiner Konfirmation, das war die einzige Bedingung, die sein Vater stellte, ging Madsen zum Zirkus Miehe. Elf Jahre blieb Harald Madsen beim Zirkus Miehe und wurde in dieser Zeit so geschickt als Artist, daß sein Name auf den Plakaten stand. Dann gründete er zusammen mit August Miehe, dem Sohn des alten Direktors, und Christian Rehder eine eigene Clowns- Truppe, genannt "Die Drei Miehes".
 
Erst jetzt, in der eigentlich ungeliebten Rolle des Clowns, wurde Madsen mit seiner Tätigkeit wohlhabend. Es gab Engagements überall in Europa, und überall waren der Zuspruch groß. Auch Filmemacher wurden auf diesen Darsteller aufmerksam, der es so gut verstand, das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Während eines Gastspiels 1917 in Stockholm trug ihm Mauritz Stiller, der später mit Greta Garbo zusammenarbeitete, eine Rolle in "Alexander der Große" an. Madsen spielte die Rolle, blieb aber- von gelegentlichen Filmrollen abgesehen- den "Drei Miehes" treu.


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Dies sollte sich abrupt ändern, als sich im Jahre 1920 zwei besondere Gäste unter den Zuschauern befanden: Svend Nielsen, Produzent der Palladium Filmgesellschaft, und der Regisseur Lauritz Lauritzen. Nielsen hatte von Madsen gehört und war der Meinung, daß dieser genau der richtige Mann für Lau Lauritzen war. Der Regisseur war auf der Suche nach einem Partner für den langen, schlaksigen Carl Schenstrøm, und der kleine dicke Clown Harald Madsen schien auch ihm in seiner Gegensätz-
 
Abb 75
Madsen und Schenstrøm in "Aus guten alten Zeiten",
dem letzten Pat- und Patachonfilm (1940).
Innenseiten des Programmheftes (Illustrierte Filmbühne
Nr. 576), Sammlung Alfred Hein

 

 

 

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lichkeit geeignet zu sein. Direkt im Anschluß an die Vorstellung setzte man sich zusammen und wurde schnell handelseinig. Aus Harald Madsen wurde Patachon; das Traumpaar der Komik, zumindest in Europa für die nächsten 15 Jahre, war geboren. Auch wenn die Filmkritik immer wieder die schauspielerischen Defizite Madsens zu erkennen glaubte, für das Publikum war er gleichwertiger Partner, ja oftmals der spaßigere der beiden Unzertrennlichen.
 
Die Zusammenarbeit mit Schenstrøm geriet erst in den 30er Jahren in eine ernste Krise. Madsen konnte nur noch in immer größeren Abständen filmen, weil er langwierige Krankheiten durchzumachen hatte. Der Zirkus, den er sich von seinem vielen Geld zugelegt hatte, lief nicht wie erhofft und ging pleite, hinzu kam die zunehmend zerrüttete Ehe , so daß Madsen auch psychisch angeschlagen war. Selbst Schenstrøm, im Umgang mit seinem Partner sehr wohlwollend, spricht in seinen Memoiren von "Merkwürdigkeiten". Schließlich lebte Madsen zurückgezogen in einem Zirkuswagen, aus seiner Villa hatte er ausziehen müssen. Ein Versuch, das Komikerpaar Pat und Patachon 1947 mit einem anderen Partner wieder aufleben zu lassen, scheiterte. Als Letzter des Erfolgstrios starb Harald Madsen am 13. Juli 1949.
 
PAT UND PATACHON- ein Komikerpaar entsteht
 
Pat und Patachon, das ist kein Paar, das am Reißbrett entstand, sondern es ist das Endprodukt eines längeren, von Zufällen geprägten Weges. Auch wenn dem Regisseur Lau Lauritzen das Bild eines Paares analog zu Don Quichotte und Sancho Pansa schon lange vorschwebte und Carl Schenstrøm auf seiner Wanderung als frischgebackener Buchbindergeselle angeblich die spätere Figur des Pat in Gestalt eines Schornsteinfegers erschien, so deutete lange Zeit nichts darauf hin, daß einer von beiden konsequent den Weg zu diesen Figuren aufnahm. Sicher ist es in erster Linie Lauritzens Gabe der Intuition zu verdanken, daß Chancen ermöglicht, erkannt und genutzt wurden .
 
Lauritzen hatte schon an die 200 Filme produziert, ohne daß ein Komikerpaar in seinen Filmen auftauchte. Der erste Film, in dem der Gegensatz groß-klein, personifiziert durch zwei Schauspieler, zum Lachen reizte, war der 1919 noch bei der NORDISK gedrehte Streifen "Der Wettläufer". Carl Schenstrøm spielte darin einen langen, sportlich- eleganten Kerl, der in einem Wettrennen mit dem kleinen Friseur Fips um die Hand der Tochter eines wohlhabenden Rentiers laufen soll. Die Tochter liebt den auf den ersten Blick chancenlosen Friseur (Aage Bendixen), Schenstrøm aber ist der Favorit des Vaters. Friseur Fips gleicht die körperlichen Nachteile durch den Einsatz pfiffiger, aber eigentlich unfairer Mittel aus und gewinnt mit dem Rennen auch die Hand der Angebeteten.
 
Die Spannung, die in diesem ungleichen Paar lag, regte Lauritzen zu weiteren Versuchen an. Schon der nächste Film "Ein Sommerabenteuer" zeigt Schenstrøm in der Verkleidung als "Pat". Eigentlich sollte er einen eleganten Herrn aus der besseren Schicht spielen, doch Lauritzen kam ganz spontan


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die Einsicht, daß der großgewachsene Schenstrøm doch eher geeignet war, die Rolle des im Drehbuch vorkommenden langen Vagabunden zu bekleiden. Wie so oft mußte Schenstrøm sich schnell auf die neue Lage einstellen. So besorgte er, der sich für die andere Rolle hatte einkleiden lassen, eine kurze Jacke und einen Hut, borgte sich vom Kellner ein paar alte Schuhe und von einem Kollegen eine karierte Hose (ob hier schon die künstliche Nasenverlängerung und der falsche Bart dazukamen, bleibt unerwähnt).
Derart ausgestattet gab er den Vagabunden im Zusammenspiel wiederum mit Aage Bendixen so eindrucksvoll, daß Lauritzen die Handlung während der Dreharbeiten änderte und dem Landstreicherpaar die wichtigsten Rollen in dem Film zukommen ließ.
 
Kurz vor und nach dem gemeinsamen Wechsel zur Palladium-Filmgesellschaft drehte Lauritzen noch einige andere Lustspiele, bis er sich des Komikerpaares erinnerte. "Diebsgesindel" sollte der erste Film sein, der schon in der Planungsphase das Landstreicherpaar als Hauptfiguren vorsah. Pat und Patachon, so wurden die beiden zumindest in einem später erscheinenden Programmheft schon genannt, entwickelten in diesem Film kriminelle Energien und wollten eine Diebestour unternehmen. Dabei gerieten sie in eine turbulente Szenerie mit hübschen jungen Mädchen und deren Verehrern, einem wohlhabenden Privatier und einer müden Haushälterin. Am Schluß löst sich alles mit Hilfe von Pat und Patachon in Wohlgefallen auf, von einer Bestrafung der beiden Diebe wurde abgesehen. Der Film wurde auch außerhalb Dänemarks, vor allem in Deutschland und noch mehr in Schweden, ein Riesenerfolg beim Publikum und auch bei der Kritik. Nun erkannte Lauritzen, daß er in dieser Richtung weiterarbeiten mußte. Allerdings war ihm und auch dem Produzenten Svend Nielsen klargeworden, daß der Kontrast zum langen Pat des Carl Schenstrøm schärfer ausgearbeitet werden mußte, und das ging nicht mit Aage Bendixen.Diesen Gegensatz fand man in Harald Madsen von den "Drei Miehes". Was dann folgte, war eine für das Europa der 20er Jahre einmalige Filmkarriere.
 
Abb 76
Die für Pat typische Bekleidung, darunter die zu
kurze Jacke und die karierte Hose.
(Kat.-Nr. 89)

 

 

 

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Die Filme und deren Aufnahme bei Publikum und Kritik
(unter besonderer Berücksichtigung der Oldenburger Quellen)
 
Die Filme, die nun in der endgültigen Besetzung Carl Schenstrøm/ Harald Madsen produziert wurden, entwickelten sich europaweit zu absoluten Kassenschlagern. Sie spielten in nordeuropäischen Gefilden und zeigten diese Gegenden auch ausführlich in gerühmten Landschaftsaufnahmen. Aber auch inhaltlich entsprachen sie der europäischen Mentalität . Über den zweiten Film in der neuen Besetzung , "Sonne, Sommer und Studentinnen", urteilte die "B.T., Kopenhagen": "Dänische Lustspiele haben nicht das Amerikanisch- Barocke, das ein Publikum außerhalb Amerikas kurzzeitig unterhält, aber nicht das Geringste mit dem dänischen Humor zu tun hat. Laus ... Lustspiel ist vor allem liebenswert. Seine Ideen und Erfindungen sind vor allem leicht und lustig (...) Welch hinreißende, vollkommene Idiotie !"15 Diese Leichtigkeit war Resultat der spontanen Arbeitsweise Lauritzens. Pat und Patachon wirkten nie schematisch, wie man es den amerikanischen Komikern zuschrieb, sondern agierten in manchmal völlig überraschenden Handlungssträngen -"Im übrigen sind sie immer da, wo man sie gerade nicht erwartet hat.“16
 
Abb 77
Die Typen waren so ausgeprägt, daß sie selbst von
hinten sofort zu erkennen waren.
Ausschnitt aus einer Annonce in den
"Nachrichten für Stadt und Land",
1.7.1927

 

 

 

 

 
Eine Thematik, die sich in der Hauptsache durch die Filme der ersten Phase bis 1925 zog, hatte sich schon im oben erwähnten Film "Der Wettläufer" angedeutet. Es ging um Liebesbeziehungen, deren Zukunft gefährdet war, z.B. durch einen unpassenden Heiratskandidaten, den der Vater aufgrund von Herkunft und Stand ausgewählt hatte. Die beiden Vagabunden, infantil händchenhaltend, trugen entscheidend dazu bei, daß es zu einer Lösung des Konfliktes kam und die rechten Partner sich finden konnten. 

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In Oldenburg liefen diese Streifen von Beginn an mit überwältigendem Erfolg. Als erster Film wurde in den Wall-Lichtspielen "Er, sie und Hamlet" am 26.3.1923 aufgeführt. Die "Nachrichten für Stadt und Land" schrieben dazu:

"(...) Das Haus war vor Beginn schon ausverkauft, so daß viele wieder umkehren mußten. Der Film: ein Bombenerfolg ! Das Volk tobte vor Vergnügen, unaufhörlich rollten die Lachsalven fünf Akte lang durch die Menge. Zum ersten Mal eine dänische Komödie (Palladia-Film, Kopenhagen), mit der die Theaterleitung einen guten Griff getan hat. Eine ganz neue Art von Komik, deren Haupt- Interpreten Pat und Patachon manchmal an die Shakespeareschen Lustspielgestalten erinnerten. Gute Darstellung aller Mitwirkenden, unter denen besonders die Seemannstypen mit ihrer drastischen Echtheit gefielen." 17

Auch die folgenden Filme stießen ausnahmslos auf wohlwollende Kritik. Eine kleine Zusammenstellung aus den "Nachrichten für Stadt und Land" soll dies verdeutlichen:

"Schon äußerlich wirken die beiden fröhlichen Gesellen, der eine klein und dick, gefühlvoll und schelmisch, der andere lang und dünn mit dem unvergleichlichen Gesichtsausdruck, wie etwa der des dummen August im Zirkus. Das Spiel wird umrahmt von hübschen Schneelandschaften und übermütigem Skisport der Jugend. Der Beifall zum Schluß war allseitig. " 7.1.1925

"„Die Braut aus Australien“ mit den dänischen Filmkomikern Pat und Patachon, deren Namen hier nicht mehr unbekannt sind (“Liebe im Schnee !“). Der Vorzug dieser dänischen Grotesken liegt zweifellos darin, daß sie sich nicht ständig mit den beiden Hauptpersonen beschäftigen - was auf die Dauer vermieden wurde - sondern durch ewig wechselnde Handlung und Bilder fesseln. (...)Wundervolle Naturaufnahmen erhöhen auch diesmal die Wirkung des Films, der entschieden über den Durchschnitt des auf diesem Gebiet Gebotenen steht.“ 21.1.1925

„ Wer recht von Herzen lachen will, der muß sich in den Apollo- Lichtspielen „Pat und Patachon“ ansehen. Keine brutal anmutende Groteske, sondern sonniger, behaglicher Humor. (...)Keine der Szenen von überwältigendem Humor hinterläßt einen faden Nachgeschmack.“17.10.1925

Abb 78
Schaukasten Wall- Lichtspiele Oldenburg, Anfang Dezember 1927.
Es lief der Film "Pat und Patachon am Nordseestrand".
Sammlung Carl- Heinz Wempe
 
 
 
 
 
 
 
 


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"'Pat und Patachon und die Tänzerin.' In ihm lebt der behagliche Humor des Nordens. Die beiden „Stettiner Sänger“ (siehe Gestalt!) haben sich mit Haut und Haaren einer kleinen, entzückenden Tänzerin verschrieben, um derentwillen sie Freud´ und Leid´ dieses Daseins mit Gleichmut ertragen. Man komme und lache !“ 31.10.1925 18

In Skandinavien vor allem hatte sich der Humor des Trios Lauritzen/ Schenstrøm/ Madsen im Laufe der Zeit abgenutzt, so daß sich kritische Stimmen mehrten. "... diese Clowns mit ihren 2 - 3 Grimassen sind keine großen Schauspieler.. Das Publikum aber jubelte von Anfang bis Ende."19, schrieb ein Rezensent 1924.

Ab 1925 drehten Madsen und Schenstrøm nicht nur mit Lauritzen, sondern auch mit anderen Regisseuren, die das Repertoire erheblich erweiterten. Pat und Patachon zogen jetzt nicht immer durch das Land und waren in manchen Filmen auch nicht mehr das Paar, das man kannte, es kamen völlig neue Konstellationen zustande. In "Der Spritschmuggler" des schwedischen Regisseurs Gustav Molanders z.B. spielte Schenstrøm einen Dieb, während Madsen als Polizeichef fungierte. Es fand für das Publikum eine doppelte Brechung statt: Madsen spielte Patachon, der wiederum im Film nicht in seiner ursprünglichen Gestalt, sondern als Polizeichef oder Bankmanager auftrat. Trotzdem blieb der ursprüngliche Charakter der Figuren erhalten. Immer war das soziale Engagement der beiden zu spüren, sie nahmen Waisen auf und halfen Bedürftigen. "Selbst in Amt und Würden bleiben sie die getretene Menschenkreatur, die nur das Gute will. Sie zersetzen alle Autorität, alles Vorurteil, alle Geschraubtheit." 20

Obwohl von der Kritik immer häufiger angefeindet und mit Befremden betrachtet, brach ab 1925 in Oldenburg vor Ort nun eine richtige Pat- und Patachon- Euphorie aus. Das wiedereröffnete "Lichtspielhaus", am Anfang der Nadorster Straße gelegen, suchte sich die Publikumsgunst der "beiden Unzertrennlichen" zunutze zu machen und spielte im April und Mai 1927 sechs verschiedene Pat- und Patachonfilme. Lau Lauritzen traf immer noch den Geschmack der breiten Massen. Die "Nachrichten für Stadt und Land" jubelten anläßlich der Aufführung von "Pat und Patachon auf dem Pulverfaß" im Januar 1928:

„[...] im Wall-Licht spielt man einen neuen Film mit Pat und Patachon, den berühmten dänischen Komikern, eine regietechnisch hervorragende Arbeit, die die beiden Helden in einem ganz neuen Milieu zeigt. „Pat und Patachon auf dem Pulverfaß“ - selten ist so gelacht worden wie gestern abend, und, was die besonderen Einfälle angeht, so ist seit den Zeiten Max Linders nichts auf diesem Gebiet geleistet worden, was diesem Film auch nur als halbwegs ebenbürtig an die Seite gestellt werden könnte, ein Film, der es wert ist, daß er eine volle Woche gespielt würde, was hiermit angeregt sei. [...]“ 21 

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Abb. 79
Nicht immer traten die beiden Komiker als Vagabunden auf.
Im Laufe der Jahre schlüpften sie häufiger in andere Rollen,
waren Bankdirektoren, Detektive oder - wie hier- Polizisten.
(Kat- Nr. 99)
 
 
 
 
 
 
 
 

 


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Nur als Lauritzen seinen langgehegten Wunsch, mit Cervantes "Don Quichotte" einen seriösen Stoff zu verfilmen, Wirklichkeit werden ließ, reagierte die Oldenburger Presse ungewohnt kritisch. "Nichtsdestoweniger entstand ein Film (bei dem freilich der Regisseur von allen guten Geistern verlassen war), der lachreizend wirkt (...)"22 Das "Lichtspielhaus" allerdings mußte den Spielplan zweimal verlängern, so groß war der Publikumsandrang.

Zum Kramermarkt 1928 fand in Oldenburg ein wahres Pat und Patachon-Festival statt. In zwei Kinos liefen Filme des Duos: im Kino "Die neuen Lichtspiele", Nadosterstraße, "Pat und Patachon auf dem Pulverfaß" und im "Apollo" in der Heiligengeiststraße "Pat und Patachon als Millionäre". Unter der Überschrift "Pat und Patachon im Landestheater" konnte man den "Nachrichten für Stadt und Land" am 29.9.1928 entnehmen, daß die beiden Komiker zeitgleich auch im Landestheater zu sehen waren: "Wie wir erfahren, wird eine der besonderen Überraschungen in der modernen Posse "Robert und Bertram" das persönliche Auftreten der berühmten Filmgrößen Pat und Patachon sein."

Abb. 80
Um ihre letztlich guten Ziele zu erreichen, hielten sich
Pat und Patachon nicht streng an die Gesetze. Ihnen
war aber bei immer gutem Ausgang die Vergebung
ihrer kleinen Übertretungen sicher.
(Kat. - Nr. 100)
 
 

Das Manuskript dieses auf Oldenburger Verhältnisse zugeschnittenen Schauspiels ist leider nicht mehr erhalten. Aus der Presse aber erfuhr man ...

"Die fünf zeitgemäßen Bilder der Posse:
1. "Freiheit, die ich meine !";
2. "Filmzauber";
3. "Gipfel der Frechheit";
4. "Aber die Polizei";
5. "Kramermarkt"! "(29.9.1929)

Es waren natürlich nicht Madsen und Schenstrøm, die im 2. Bild der Posse aufgetreten sind, sondern Schauspieler des Landestheaters. Täuschungen dieser Art gab es häufiger, Parodisten wie Andringer und Madlung23 verdienten ihren Lebensunterhalt damit, als Pat und Patachon aufzutreten, ohne daß zuvor klar war, daß nicht die Originale auftreten würden. In Oldenburg hatte es 1926 einen kleinen Skandal um einen angeblichen Chaplin-Auftritt im Wall-Kino gegeben. 24 

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1930, unmittelbar vor Einführung des Tonfilms auch in Oldenburg, war die Popularität von Pat und Patachon auf dem Höhepunkt angelangt. Das "Apollo" konnte als kleineres Kino den Andrang anläßlich der Aufführung des Films "Pat und Patachon im Raketenauto" nicht mehr bewältigen:

„Aus den Lichtspielhäusern. Das Apollotheater hat seinen ausgezeichneten Spielplan mit den beiden nordischen Filmkomikern Pat und Patachon, der mit großem Erfolge aufgenommen wurde, bis Donnerstag dieser Woche, einschließlich, verlängert. Die Vorstellungen waren bis jetzt fast alle ausverkauft; am Sonntag war der Andrang so stark, daß im Gedränge vier große Scheiben der Reklameschaukästen im Innern des Theaters eingedrückt wurden, und erst die herbeigerufene Orpo einigermaßen Ordnung schaffen konnte. „Pat und Patachon im Raketenauto“ erwies sich in allen Phasen und in allen Einzelheiten als eine Arbeit, die mit Zielsicherheit den Geschmack des großen Publikums getroffen hat. Was die beiden Helden alles ausfressen, überzeigt alle Begriffe und zwingt auch bei wiederholtem Sehen zur Heiterkeit.“25

"Ausgelebt sollen diese beiden Unzertrennlichen haben ? Ausgeschlossen ! " wurde noch im Dezember 1930, längst spielte das Wallkino Tonfilme, ausgerufen. Aber es war schon eine Vorahnung vom Ende spürbar. Auch der erste Tonfilm von Pat und Patachon "1000 Worte Deutsch" konnte trotz aller Begeisterung seitens der Presse und des Publikums in Oldenburg nicht überdecken, daß der Tonfilm eine ernste Bedrohung für die Filmgroteske darstellte."Es war in der Tat unvermeidbar, daß das gesprochene Wort einem Genre, welches allergisch auf es reagierte, ein Ende bereiten würde."26

Schenstrøm, Madsen und Lauritzen drehten noch bis 1932 Stummfilme, die auch weiterhin enthusiastisch aufgenommen wurden, dann aber schnell ihren Reiz verloren, denn das Publikum war dem Stummfilm entwöhnt. "Man glaubt es nicht, daß vor wenig mehr als zwei Jahren noch alle Filme so waren! Nun wirkt diese stumme Munterkeit auf einen fast gespenstisch, wie eine Welt armer Taubstummer, die dennoch krampfhaft versuchen, den Humor nicht zu verlieren."27 Auch einige Tonfilme konnten gefallen, letztendlich kann aber nichts darüber hinwegtäuschen, daß der Stummfilm das ihnen adäquate Medium darstellte. Aber nicht der Tonfilm allein läutete das Ende des Duos ein. Zunehmende Schwierigkeiten untereinander, die Trennung von "Lau" 1932 und die Krankheiten und Krisen Madsens ließen kaum noch kontinuierliche Arbeit zu.

Ihre Filme aber wurden weiterhin gespielt. Zum Teil nachsynchronisiert, liefen sie selbst Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg noch in den Kinos, vor allem in Kindervorführungen. In Oldenburg wurde Anfang der 80er Jahre zum letzten Mal ein Pat- und Patachonfilm im Kino gezeigt, und zwar im neueröffneten "Casablanca" anläßlich einer Kindervorstellung.


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1 Svenska Dagbladet, Stockholm, 15.9.1931. Zitiert nach: Lange- Fuchs, Hauke: Pat und Patachon: eine   Dokumentation. Schondorf/Ammersee 1980, S. 174 

2 vgl. Kracauer, Siegfried: Theorie des Films. Frankfurt a.M. 1964, S. 58 

3 vgl. Gregor, Ulrich/Patalas, Enno: Geschichte des Films, Bd. 1. Reinbek bei Hamburg  1976, S. 11

4 zitiert nach Kracauer, a.a.O., S. 57 

 
5 Kracauer, Siegfried, a.a.O., S. 57 

 
6 Seeßlen, Georg: Klassiker der Filmkomik. Reinbek bei Hamburg 1982, S. 40 

7 Nachrichten für Stadt und Land, Nr. 235, 29.8.1924 

8 Nachrichten für Stadt und Land, Nr. 303, 6.11.1929 

9 vgl.: Lange- Fuchs, Hauke: Pat und Patachon: eine Dokumentation. Schondorf/Ammersee 1980, S. 174 

10 Lange,Fuchs, a.a.O., S.32 

11 Eddy, Robert: Fyrtaarnet og Bivogen, Zinklar Zinklersen, Kopenhagen 1928.
in: Lange-Fuchs, a.a.O., S. 33f. 

12 vgl. Lange-Fuchs, a.a.O., S. 21 

13 Schenstrøm, Carl: Fyrtaarnet fortaeller (Pat erzählt), Hagerup, Kopenhagen 1943.
in: Lange- Fuchs, a.a.O., S. 43 

14 vgl. Eddy, a.a.O., S. 48 

15 in : Lange- Fuchs, a.a.O., S. 85 

16 Nachrichten für Stadt und Land, Oldenburg, 1.4.1926 

17 Nachrichten für Stadt und Land, Oldenburg, 27.10.1923. 

18 Sämtliche Zeitungsartikel und Annoncen über Pat und Patachon- Filme in den Nachrichten für Stadt und Land sind im internet zu finden unter: http://www.uni-oldenburg.de/kunst/mediengeschichte/pat/artikel.htm 

19 Griffel, Niels in Ekstrabladet, 7.10.1924, in: Lange- Fuchs, S. 109 

20 Rote Fahne, 14.11.1926, in: Lange- Fuchs, S. 117 

21 Nachrichten für Stadt und Land, Oldenburg,  28.1.1928 

22 Nachrichten für Stadt und Land, Oldenburg, 26.5.1928 

23 Herold, Egon: Aus der Geschichte des Lichtspielhauses Schramberg. Schramberg 1991, S. 36. Herold  berichtet auch davon, daß es als Andenken Taschentücher mit den Köpfen der beiden gab, "das von Pat  blau, das von Patachon gelb; zum Schneuzen waren sie jedem zu schade." 

24 Das "Apollo" machte sich noch Wochen später in seiner Annonce zum Chaplin-Film "Ein Hundeleben"   am 28.5.1926 in den Nachrichten für Stadt und Land darüber lustig: "Achtung ! Wir machen das verehrte   Publikum ausdrücklich darauf aufmerksam, daß es sich in diesem Film um den Original- Charlie Chaplin   handelt und nicht um den hier s.Zt. in den Wall-Lichtspielen aufgetretenen Charlie Chaplin - Imitator." 

25 Nachrichten für Stadt und Land, Oldenburg, 15.1.1930 

26 Kracauer, Siegfried: Kino. Frankfurt a.M. 1974, S. 22 

27 Dagbladet , Oslo, 10.9.1932, in: Lange-Fuchs, a.a.O., S. 177