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'Schafft zwei, drei, viele „zweite Kinos“ !
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Detlef Roßmann: Film In der alternativen Kulturarbeit
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1. Vorbemerkung
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Eigentlich ist es ein erstaunliches Phänomen: da gibt es seit Jahren
eine Flut von medienpädagogischer Literatur, zahlreiche Veröffentlichungen
über “alternative Medienarbeit", aber kaum eine Untersuchung hat sich
bislang der Bedeutung der Filmarbeit in der außerschulischen Jugend
und Kulturarbeit angenommen.
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Dabei entstehen sie überall: in Großstädten, Kleinstädten,
Vororten, Dörfern gibt es heute eine kaum mehr bezifferbare Anzahl
von Filmclubs. Sie zeigen mit einem 16 mm Projektor in einem häufig
behelfsmäßig umgeräumten Saal regelmäßig oder
sporadisch Filme. Filme, die von Jugendlichen für Jugendliche ausgewählt,
bei einem Verleih bestellt und auf selbstgefertigten Kleinplakaten oder
Flugblättern der lokalen Öffentlichkeit angezeigt werden. Filme
also, die- sei es durch ihre Attraktivität, sei es durch die Art und
Weise der Filmpräsentation- eine bedeutende und bislang kaum näher
untersuchte Rolle in der Freizeit von Jugendlichen einnehmen.
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Das Interesse an Filmen organisiert sich in diesem Lande zunehmend im Bereich
der nichtkommerziellen Jugend- und Kulturarbeit: neben oder gar gegen
die Weise der Filmrezeption im kommerziellen Kino oder Fernsehen. Die nichtgewerbliche
Filmarbeit, also die Vorführung von Filmen in Filmclubs aller Art,
hat inzwischen eine ähnliche Bedeutung für das Freizeitverhalten
gewonnen wie das Lesen oder das Musikhören. Zusätzliches Gewicht
erlangt die nichtgewerbliche Kinoarbeit durch ihre Form: hier werden Kultur
und Freizeit selbstorganisiert. Wenn auch - eine wichtige Einschränkung,
die einmal näher untersucht werden muß - mittels eines zu rezipierenden
Mediums.
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Am Beispiel eines Filmclubs, seiner Entstehung, seines Programms und Selbstverständnisses
werden in diesem Beitrag beispielhaft Aspekte der nichtgewerblichen
Filmarbeit dargestellt und im übergreifenden Zusammenhang alternativer
Kulturarbeit auf ihre Bedeutung in der Freizeit von Jugendlichen hin untersucht.
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2. Der Ort
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Das selbstverwaltete Aktions und Kommunikationszentrum „Alhambra“
besteht seit etwa drei Jahren. Oldenburg, die nordwestniedersächsische
Großstadt zwischen Bremen und Nordseeküste, hat 136000 Einwohner,
eine Zeitung, ein Theater, acht Kinos, eine Universität, zwei Museen,
eine (jährliche) Kinder und Jugendbuchmesse (Kibum) und einen
Kultursommer. Und das Alhambra. Das allerdings erhält keine städtischen
Zuschüsse, sondern wird durch Spenden und Eigenmittel aus Veranstaltungen,
Kneipe und Teestube finanziert. Also Gegenkultur.
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Das Zentrum hat sich in einem ehemaligen Kino eingerichtet, das vor drei
Jahren von einem Verein gekauft und in Eigenarbeit renoviert wurde. Ursprünglich
bestanden ca. 15 Arbeitsgruppen (Frauen, Männer, Schwule, Lehrlinge,
Kinder, Theater, Siebdruck usw.), von denen viele inzwischen nicht mehr
bestehen, bzw. sich anderen Themen zugewandt, umorganisiert oder neugegründet
haben. Also Gegenkultur.
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In einem ehemaligen Kino wurde das selbstverwaltete Aktions und Kommunikationszentrum
in Eigenarbeit eingerichtet.
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Wöchentlich einmal tagt eine Vollversammlung, die über das Programm,
die
Kneipendienste, Aktionen usw. redet (oft endlos) und manchmal auch beschließt.
Den aktiven Kern der Mitarbeiter des “Alhambra“ bilden etwa 80 bis 100
Jugendliche: überwiegend Studenten, einige Schüler, Lehrlinge,
Lehrer, viele Aussteiger.
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Das Alhambra liegt in Osternburg, einem alten und überalterten Industrie-
und Arbeitervorort der Beamten und Verwaltungsstadt Oldenburg.
Heute leben hier viele türkische Arbeiter und Familien. Im Alhambra
gibt es eine von einigen Türken betriebene türkische Teestube,
die Tag und Nacht geöffnet hat.
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3. Die Filmgruppe
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Die Filmgruppe des Alhambra hat etwa ein Dutzend Mitglieder, die seit der
Gründung des Zentrums zusammenarbeiten. Im Unterschied zu zahlreichen
anderen Gruppen ist die Filmgruppe von Anfang an kontinuierlich tätig.
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Das die Mitglieder verbindende gemeinsame Interesse ist die Kinoarbeit
im Zentrum: Versuche zur Erweiterung der Beziehungen durch Wochenendseminare
und Essen werden zwar mit schöner Regelmäßigkeit unternommen,
tragen aber kaum zur Veränderung der eingespielten Umgangsformen bei.
Die anspielungsreichen Dialoge und Diskussionen bewirken eine den Mitgliedern
zwar bewußte, aber dennoch gepflegte Abschirmung.
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Für Interessenten, die Anschluß an die Filmgruppe suchen, ist
es schwer, sich zurechtzufinden und einzuschalten. Zudem geht es neuen
Mitgliedern häufig in erster Linie um die Mitarbeit in einer Gruppe
und erst - nachgeordnet - um die Kinoarbeit. Die praktische Arbeit erstreckt
sich auf die Diskussion und Festlegung des Filmprogramms, die Bestellung
der Filme, Programmplakate entwerfen und drucken, die finanzielle Abrechnung,
den Versand der Kopien (meist per Bahnexpress), das Vorführen, Kassieren,
Saubermachen: das alles wird ehrenamtlich unternommen und ist relativ zeitaufwendig
bei zwei Filmvorführungen in der Woche.
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Die Gruppe hat keinen Vorstand, die anfallenden Arbeiten werden wöchentlich
neu verteilt. Die Diskussionen erfordern keinen Sitzungsleiter, meistens
protokolliert ein Mitglied die Einteilung der praktischen Dienste. Ausgesprochene
Opinionleader gibt es bei den Gesprächen nicht, wohl aber neigen ein,
zwei ältere Mitglieder dazu, durch ihre Filmkenntnisse die Diskussionen
zu dominieren.
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Beziehungen der Filmgruppe zu anderen Filmclubs in Oldenburg und Umgebung
gibt es kaum. Sie sind beschränkt auf punktuelle Kontakte: Erfahrungsaustausch,
Gegenwehr gegen den lokalen Kinomonopolunternehmer, der von Zeit zu Zeit
Filme bei den Verleihen sperren läßt (aufgrund des Vorspielrechts
für kommerzielle Kinos).
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4. Die Technik
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Die Filmgruppe im Alhambra hat einen Vorzug im Vergleich zu vielen anderen
nichtgewerblichen Filmclubs: sie verfügt über einen ehemaligen
Kinosaal. Mit 28 m Länge und 25 m Breite zwar reichlich groß
dimensioniert, vermittelt der Saal im Alhambra jedoch weitaus mehr Kinoatmosphäre
als eine Aula oder ein Foyer einer Kunstgalerie (um zwei andere Beispiele
aus Oldenburg anzuführen).
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Da das Haus über lange Jahre hinweg zweckentfremdet genutzt worden
war, mußten eine gründliche Renovierung und Neueinrichtung vorgenommen
werden: Neue Heizung, Elektro und Sanitärinstallationen, Stühle
und Tische (die überwiegend bei Gaststätten - und Haushaltsauflösungen
erstanden wurden), Malerarbeiten. Entstanden ist ein mehrfach nutzbarer
Saal mit zwei sich gegenüberliegenden Bühnen: einer Theater
und Musikbühne und einer Bühne für die Filmleinwand. Eine
gebrauchte Leinwand (7 m x 3,50 m) konnte kostenlos erworben werden. Sehr
bald stellte sich jedoch heraus, daß eine sehr schlechte Akustik
das Kinovergnügen stark behinderte. Filmenthusiasten an der örtlichen
Universität bauten der Filmgruppe dann einen speziellen Verstärker
mit einer darauf abgestimmten Lautsprecheranlage. Auch damit waren die
Filmvorführungen noch kein reiner Genuß, da der alte Siemens
von Zeit zu Zeit - nun wunderbar verstärkte - Brummgeräusche
von sich gab. Also war ein neuer Projektor fällig. Wiederum durch
Beziehungen konnte ein fabrikneuer Bell & Howell TQ lll günstig
erworben werden, der die Projektorprobleme vorerst löste. Zusätzlich
wurde ein aufgelöstes altes Kino gekauft, aus dem die 35 mm-
Projektoren, die Leinwand, die Verstärkeranlagen, die Bestuhlung usw.
ausgebaut wurden. Insgesamt wurden ca. 10000 DM (es geht sicher auch billiger)
investiert; ein Betrag, der für viele Filmclubs wohl unvorstellbar
ist.
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Finanziert werden konnte diese Summe nur durch die Einbeziehung der Filmarbeit
in einen Gesamtzusammenhang alternativer politischer und Kulturarbeit des
Alhambra, dessen Arbeit zu einem großen Teil durch Spenden ermöglicht
wird.
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5. Das Programm
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In der Anfangszeit der Filmgruppe wurde einmal wöchentlich ein Film
gezeigt. Dieser Rhythmus ist bei vielen Filmclubs des „zweiten Kinos“,
üblich, da der Arbeitsaufwand für die Mitglieder der Filmgruppen
in Grenzen gehalten werden kann. Häufigere Filmvorführungen scheitern
zudem an der Mehrfachnutzung des jeweiligen Raumes.
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Im Oldenburger Alhambra ist die Filmgruppe vor etwa zwei Jahren dazu übergegangen,
zweimal wöchentlich einen Filmabend zu veranstalten. Die Gründe
für die Ausweitung des Programms lagen sowohl in dem mangelhaften
Filmangebot der kommerziellen Kinos vor Ort als auch in dem Bestreben,
Filmreihen mit thematischen Schwerpunkten anzubieten. Dabei werden jeweils
vier oder fünf Filme unter einem spezifischen Aspekt ausgewählt
und in dichter zeitlicher Abfolge vorgeführt. Einige Beispiele aus
dem Programm des Alhambra Filmclubs, die zugleich einen außerordentlich
guten Publikumszuspruch hatten:
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„Psychiatrie im Film“, „Frauen im Film“, „Ökologiefilme“, „Jugendliche
im Film“.
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Zu den besser besuchten Filmreihen sind auch Musikfilme und Komikerfilme
zu rechnen. Bei Filmreihen, die sich einzelnen Regisseure, Genres oder
Filmepochen widmen, ist das Publikumsinteresse erfahrungsgemäß
wesentlich geringer. So lief beispielsweise eine Reihe mit deutschen Nachkriegsfilmen
vor durchschnittlich 10 bis 15 Zuschauern, eine Retrospektive des italienischen
Neorealismus vor 30 bis 40 Zuschauern, eine Werkreihe mit Filmen von Joris
Ivens vor durchschnittlich 30 Zuschauern. Filme hingegen wie „Don Camillo
und Peppone“ oder „Goldrausch“ von Charlie Chaplin finden leicht über
100 Besucher. Ebenso verhält es sich bei den bereits erwähnten
Filmen zum Thema „Psychiatrie“.
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Zusammenfassend lassen sich zwei Tendenzen im Zuschauerinteresse beobachten:
Da ist einmal der Wunsch nach einer filmischen Thematisierung von Problemen
des eigenen Lebenszusammenhangs bzw. von sozialen oder politischen Bewegungen,
denen man sich verbunden fühlt (Anti AKW- Bewequng, Frauenbewegung
usw.). Zum anderen besteht ein ausgeprägtes Interesse an gutgemachten
Unterhaltungsfilmen (Komikerfilme z. B.).
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Das Filmprogramm im Alhambra ist ein ständiger Kompromiß zwischen
diesen Interessen.
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Hinzu kommt die Notwendigkeit, die laufende Filmarbeit kostendeckend zu
veranstalten (Filmmieten, Plakatkosten, Gemagebühren usw. müssen
durch die Eintrittsgelder finanziert werden).
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Die grundlegenden Probleme alternativer Kinoarbeit sind nicht gänzlich
verschieden von denen kommerzieller Kinos. Besonders der in Programmkinos.
Ohne kommunale Zuschüsse lassen sich Filmreihen, die nur die gehobenen
filmästhetischen Ansprüche der bald 90jährigen Filmgeschichte
gelten lassen, nicht realisieren. Die film und kinopolitischen Debatten
der letzten Jahre haben in dieser Hinsicht eine Verengung auf die durch
die Arbeit der Kommunalen Kinos gesetzten Maßstäbe erfahren,
die sich für die Gesamtheit des „zweiten Kinos“ überhaupt nicht
verallgemeinern lassen. Die Orientierung an erstmal als gegeben ernstzunehmenden
Zuschauerinteressen stellt sich bei den vielen kleinen Filmclubs in Vororten,
Kleinstädten und Dörfern als Zwang, der eine kontinuierliche
Filmarbeit erst ermöglicht. Und dies im krassen Unterschied zu jeder
Art von subventionierter Filmarbeit im Rahmen des „zweiten Kinos“. Die
Exklusivitat—unbestreibar notwendiger—filmästhetischer Bildungsarbeit
und cinemusealer Programme wird erst durch ihre öffentliche Finanzierung
ermöglicht: Die breite Basis alternativer Kinoarbeit hingegen ist
mit alltäglichen Freizeit und Unterhaltungsinteressen von Jugendlichen
konfrontiert.
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6. Das Selbstverständnis
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In die Debatten der Alhambra Filmgruppe über das Selbstverständnis
alternativer Kinoarbeit und über die Programmgestaltung gehen recht
unterschiedliche Interessen ein. Man kann von zwei Fraktionen sprechen,
die sich in der Sache mitunter kontrovers (im Ton durchaus solidarisch)
gegenüberstehen: Einmal die Fraktion, für die Filme- wenn sie
schon von der Filmgruppe im Alhambra gezeigt werden - auch etwas mit den
sich dort aufhaltenden Jugendlichen und ihren Problemen zu tun haben sollten.
Hier sind also Filme gefordert, die beispielsweise die gegenwärtige
Situation von Jugendlichen, Aspekte der Frauenbewegung usw. thematisieren.
Das wesentliche Argument dieser Fraktion: eine alternative Kinoinitiative
muß auch alternative Filme zeigen.
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Die andere Fraktion versteht die Aufgabe der Filmgruppe in der Präsentation
von Filmen unter gleichzeitiger Vermittlung des Zusammenhangs von Entstehung,
Gestaltung, Rezeption, Wirkung. Hier dominiert also eher ein medienzentrierter
Ansatz, während dort eher außerfilmische Interessen die Programmauswahl
motivieren. Wir haben es bei diesen beiden Positionen mit Filminteressen
zu tun, die auch schon in der Prognos Studie über die nichtgewerbliche
Filmarbeit in der BRD genannt wurden. Die im Jahre 1977 veröffentlichte
Untersuchung nannte vier hauptsächliche Motivstränge für
die Organisierung nichtgewerblicher Kinoarbeit:
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— Kompensation der schlecht örtlichen Kinosituation
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— rein kulturelle Zielsetzungen (Interesse am Medium Film)
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— medienpädagogische (didaktische) Zielsetzungen
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— gesellschaftspolitische Zielsetzungen (nach Schäfer, 1980, S. 35
f.).
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In dieser strengen Unterteilung der Film und Kinointeressen wird
sich kaum eine Initiative des zweiten Kinos wiederfinden können. Die
Praxis ist wohl eher, daß all diese Motive in der alternativen Kinoarbeit
zum Tragen kommen, wobei durchaus einzelne Interessen überwiegen bzw.
dominieren können. Dabei läßt sich häufig selbst bei
ausgesprochenen Cineasten mitunter das Bedürfnis feststellen, einen
Film als Moment von Unterhaltung zu konsumieren. Das private Fernsehverhalten
vieler Film und Kinofreunde wird - so steht zu vermuten - auch Aspekte
von Kompensation und Regression aufweisen. Es wäre unsinnig, diese
Widersprüche in unser aller Verhältnis zum Medium Film zu leugnen.
Warum also sollen sie beim Publikum des „zweiten Kinos“ nicht gelten dürfen.
Diese Vielfalt von Interessen und Verhaltensweisen zu übersehen, wäre
für jede Kultur also auch Filmarbeit fatal, bedeutete eine Zensurierung
vitaler Bedürfnisse.
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Das Problem der Veränderung traditionaler Sehgewohnheiten und Verhaltensweisen
bleibt daneben Aufgabe einer Filmgruppe, die sich als Teil einer politischen
und kulturellen Gegenöffentlichkeit versteht. Die Schwierigkeiten
eines derartigen Veränderungsprozesses für eine Spielstelle
des „zweiten Kinos“ beruhen häufig auf der Überschätzung
der Möglichkeiten und Wirkungen des Mediums Film im Lebensalltag
seiner Konsumenten. Eine zentrale Bedeutung bei der Veränderung tradierter
Verhaltens und Sehgewohnheiten wird man dem Film nicht zuschreiben
können höchstens eine unterstützende: Film als flankierende
Maßnahme gewissermaßen. Gleichgültig ist also die Programmgestaltung
der vielen „zweiten Kinos“ keineswegs. Auch durch sie konstituiert sich
ein Filmclub als „zweites Kino“, als Widerpart zur gewinnträchtigen
Vergnüglichkeit des „ersten“, des herrschenden Kinos. (Die Entmonopolisierung
des Verleihgeschäfts und die Gründung zahlreicher kleiner, linker
Verleihe sind dabei eine wichtige Voraussetzung einer alternativen Kinoarbeit.)
Den Anspruch auf ein „paar schöne Stunden“ wird man jedoch nicht folgenlos
dem kommerziellen Kino überlassen: die Abstimmung mit den Füßen
- die Verweigerung eines elitären Filmprogramms durch die Masse der
Zuschauer - verhindert auch die kleinen Veränderungen in den Sehgewohnheiten.
Kino, gerade das zweite als Teil einer sich entwickelnden Gegenkultur in
diesem Land, darf nicht zur musealen Verwaltung medienbornierter Interessen
geraten. Ein Filmmuseum ist eine Sache — eine Kinoinitiative von Jugendlichen
eine andere. Deshalb wird sich die Lebendigkeit und der Erfolg jedes Filmclubs
messen lassen an der Kompromißfähigkeit zwischen den Interessen
nach Unterhaltung, Interessen nach politischer Information und Interessen
am Medium Film. Letztlich sind Charlie Chaplin, Joris Ivens und Jean-
Luc Godard Weggefährten.
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7. Das "zweite Kino" und die "Kultur von unten Bewegung"
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Die Bedeutung des „zweiten Kinos“ für Freizeitverhalten und Kultur
von Jugendlichen ist nicht allein mit Selbstverständnis und Programm
alternativer Kinoarbeit zu analysieren: Hier geht es auch um „außerfilmische“
Aspekte des „zweiten Kinos“.
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Zunächst einmal sei auf die außerordentlich lange Tradition
eines zweiten Kinos in Deutschland verwiesen: bereits in den zwanziger
Jahren entdeckten die Arbeiter Parteien und Gewerkschaften das Medium Film
und organisierten eigene Filmvorführungen. In den fünfziger Jahren
existierten neben den damals noch zahlreicheren kommerziellen Kinos bereits
in vielen Orten Filmclubs, Jugendfilmstunden und ähnliche Initiativen,
wobei sogar die Forderung nach kommunaler Kinoarbeit von Zeit zu Zeit erhoben
wurde (vgt. Joachim Nowottny, 1978, S. 55 f.).
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Erst in den siebziger Jahren erlangte die nichtgewerbliche Kinoarbeit durch
die Gründung von zahlreichen neuen alternativen Spielstellen und von
kommunalen Kinos jedoch eine herausragende kulturpolitische Bedeutung.
Neben den kommerziellen Filmtheatern hat sich eine Szene des anderen Kinos
etabliert, deren Expansion noch andauert. Nahm die Zahl der kommerziellen
Kinos (auch bedingt durch die Verbreitung des Mediums Fernsehen) seit dem
Ende der fünfziger Jahre kontinuierlich ab - 1959 gab es noch über
7000 Kinos in der BRD, zwanzig Jahre später, im Jahr 1979, nur mehr
2900 Kinos - so stieg die Zahl der nichtgewerblichen Abspielstellen
in den siebziger Jahren auf über 4000 an (Allein die „Bundesarbeitsgemeinschaft
der Jugendfilmclubs“ - BAG - hat über 1000 Mitglieder). Die „atlas
film + av“, der größte 16 mm Verleiher, hat einen Kundenstamm
von weit über 10000 nichtgewerblichen Spielstellen. Neben den
zahlreichen Filmclubs auf dem Land und in den Städten haben in den
letzten Jahren auch Bildungsinstitutionen wie Schulen, Universitäten
und Volkshochschulen das Medium Film entdeckt. Es läßt sich
wohl die Prognose wagen, daß der Sektor der nichtgewerblichen Filmarbeit
sich in den nächsten Jahren noch weiter ausweiten wird. Hinter dieser
Entwicklung der Massenrezeption des Mediums Film verbirgt sich ein kultureller
Umwertungsprozeß, der nicht allein auf den Bereich des Films und
des Kinos beschränkt ist.
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Seit einigen Jahren läßt sich eine Vergesellschaftung der Rezeptionsbedingungen
des Mediums Film beobachten, die einher geht mit ähnlichen Erscheinungen
im Reproduktionsbereich überhaupt. Die vielerorts entstandenen Freizeit
und Kulturinitiativen haben eine selbstätige Organisation kultureller
Interessen zum Ziel.
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Der zunehmenden Industrialisierung und Vermarktung des Freizeitbereichs
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steht eine verstärkte Selbstätigkeit im Freizeit - und Kulturbereichs
gegenüber, die sich durch ein grundsätzliches Mißtrauen
gegenüber jeder Art von vorgefertigter, von oben kommender Kultur
auszeichnet. „Kultur von unten“ - so lautet dann auch das Schlagwort zur
Kennzeichnung dieser Bewegung.
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Nun ändert auch das „zweite Kino“ vorerst nichts an dem rezeptiven
Verhältnis des Zuschauers zum Medium Film. Ein Einbringen von Selbstätigkeit
im Kino ist schwer vorstellbar, auch wenn - anders als im kommerziellen
Kinobetrieb - Filme diskutiert bzw. in einen Kontext anderer politischer
oder kultureller Aktivitäten eingebettet sind.
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Die massenhafte Beschäftigung mit dem Medium Film außerhalb
des „ersten“, des gewerblichen Kinos und neben der ständig an Bedeutung
für die Freizeit gewinnenden Fernseh und Videorezeption stellt
eine in sich widersprüchliche kulturelle Entwicklung dar. Mit welchen
kulturellen Interessen und Bedürfnissen haben wir es in der Szene
der alternativen Filmclubs und ihrer Anhänger nun eigentlich zu tun?
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Zunächst gilt das Motiv einer aktiven Selbstorganisation von Freizeit
und Kultur von Jugendlichen nur für die Mitglieder der Filmclubs,
deren praktische und inhaltliche Arbeit oben am Beispiel des Alhambra Filmclub
erläutert wurde. Die Eigentätigkeit der Filmzuschauer ist in
ihrer Bedeutung schwieriger zu erfassen. Einmal setzt ja der Besuch eines
„zweiten Kinos“
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- zumal wenn er regelmäßig erfolgt - eine Unzufriedenheit mit
den Formen tradierten Freizeitverhaltens voraus, also ein Interesse, neue
Erfahrungen zu machen. In dieser Umorientierungsphase von Jugendlichen
kann gerade das Medium Film—übrigens ähnlich
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wie Musik — eine wichtige Vermittlungsfunktion übernehmen. Denn obwohl
der Besuch eines „zweiten Kinos,“ schon die Abkehr von tradierten kulturellen
Verhaltensweisen ankündigt, bedeutet er zugleich auch ein Festhalten
an Formen rezeptiver Kultur, in der ein tätiges Engagement noch nicht
gefordert ist. Die Filmrezeption hat keine von Gruppen einklagbaren Verbindlichkeiten
für den individuellen Rezipienten. Gerade hierin liegt dann auch der
Grund für die Beliebtheit und Bedeutung des Mediums Film in der gegenkulturellen
Bewegung: Film als Einstiegsmedium in die „Kultur von unten–Bewequng“.
Der nächste Schritt, nämlich der vom
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rezeptiven Verhalten im Kontext der gegenkulturellen Milieus zum selbstätigen
Freizeit und Kulturverhalten, ist sicher leichter, als die Überwindung
an erzogener Berührungsängste vor
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„fremden“ kulturellen Formen. Insofern kann das „zweite Kino“ hinführen
zu produktiven kulturellen Tätigkeiten von Jugendlichen: vom Musik
Hören zum Musik Machen, vom Film Sehen zum Film- Machen.
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Von der Annahme einer quasi- automatischen Entwicklung von passiver zu
aktiver Kultur sei jedoch gewarnt: die jahrelange Ein und Ausübung
rezeptiven Freizeitverhaltens ist nur im Rahmen solidarischer Umgangsformen
gegenkultureller Bewegungen prozeßhaft überwindbar. Dort, wo
Kultur und Freizeit weiterhin kommerzielle und autoritäre Organisationsmerkmale
anhaften, wird die Entwicklung selbstätiger und solidarischer kultureller
Verhaltensweisen von Jugendlichen erschwert.
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Der Schritt vom rezeptiven Verhalten im „zweiten Kino“ hin zur aktiven
Selbstorganisation von Freizeit und Kultur (sei es mit Musik, mit Film,
beim Töpfern oder in der Redaktion einer Stadtteilzeitung), also die
Entfaltung der eigenen kreativen Fähigkeiten, ist vielleicht ein kleiner
Schritt für die Kultur in diesem Land - aber ein großer Schritt
für die Jugendlichen.
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Dabei kann Film, kann das „zweite Kino“ mitmischen. Von einem Ende des
Kinos kann also keine Rede sein - es hat eine Aufgabe. Das selbstgemachte
Kino trifft auf ein immer größer werdendes Interesse, dessen
Ausmaß fast alle anderen kulturellen Sektoren übertrifft. Gemessen
an der Zahl der Spielstellen des „zweiten Kinos“ und der Zahl der in ihnen
tätigen Jugendlichen und der Zahl der Besucher von Filmvorführungen
läßt sich sogar eine dominante Rolle des Mediums Film im Spektrum
der „Kultur von unten Bewegung“ konstatieren. So existieren beispielsweise
in der Stadt Oldenburg neben dem Alhambra Filmclub etwa zehn andere Filmclubs,
die überwiegend von Jugendlichen (und Studenten) organisiert werden.—Und
in der ländlichen Umgebung Oldenburgs kann eine ähnlich starke
Beschäftigung mit alternativer Kinoarbeit durch Jugendliche beobachtet
werden.
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Damit deutet sich zugleich eine Gegenentwicklung zur Expansion des Fernseh
und Videobereichs an. Während die Bevölkerungsgruppe der über
Dreißigjährigen kaum noch Kinos besucht und das häusliche
Fernsehprogramm bevorzugt, so stellt die Gruppe der Jugendlichen sowohl
den Hauptteil der Besucher gewerblicher Kinos als auch alternativer Spielstellen.
Innenwelt gegen Außenwelt: das scheinbar sichere Refugium der Kleinfamilie
erfährt eine praktische Kritik durch Jugendliche im gegenkulturellen
Milieu. Der Film im „zweiten Kino“ regt an, Tagträume über andere
Lebensformen zu entwickeln: Kino, das zweite, kann zur Etappe werden beim
Aufbruch in eine andere Gesellschaft.
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Literatur
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Joachim,D./Nowottny,J.:Kommunale Kinos in der BRD. Münster/ Osnabrück
1978
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Schäfer, H.: Das zweite Kino. Handbuch für die nichtgewerbliche
Filmarbeit. Schondorf 1980.
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Abgedruckt in: Kunst + Unterricht Nr. 67 / Juni 1981